München, 5. Mai 2020 – Vor dem Hintergrund der Coronakrise hat die Recruiting-Plattform JobTeaser in den letzten Wochen mehrere tausend Studierende sowie zahlreiche Unternehmen und Hochschulen in Europa zu den konkreten Auswirkungen befragt. Vor allem die interne Reorganisation und die Einführung von Remote-Arbeitsplätzen stellen für die Unternehmen die größte Herausforderung dar. Bei den Studierenden wird der Bedarf nach Unterstützung und Orientierung deutlich: 79 Prozent wünschen sich von ihren Hochschulen Hilfe bei der Jobsuche in der Krise. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass die Produktivität der Studierenden durch die virtuellen Vorlesungen deutlich leidet.
Viele Hochschulen und Universitäten haben ihren regulären Vorlesungsbetrieb vergleichsweise rasch den Herausforderungen des Social Distancing angepasst. 90 Prozent der 175 befragten Bildungseinrichtungen haben bereits komplett auf Online-Veranstaltungen umgestellt oder sind aktuell dabei, virtuelle Formate umzusetzen. Lediglich zehn 10 Prozent haben ihre Veranstaltungen abgesagt, ohne sie online zu ersetzen.
Dass das allerdings kein Grund ist, in Euphorie auszubrechen, zeigen die Antworten der mehr als 7.000 Studierenden, die sich im Rahmen der europaweiten Umfrage zu ihren aktuellen Herausforderungen in der Krise geäußert haben. Auf die Frage, wie sich virtuelle Vorlesungen auf den Alltag der Studierenden auswirken, gab fast die Hälfte (48 Prozent) an, dass sie weniger produktiv sei, 41 Prozent beobachten keine Veränderung, und nur bei 11 Prozent führen virtuelle Vorlesungen zu effektiverer Arbeit.
Studierende zwischen akuter Not und langfristigem Optimismus
Auch die Sorge nach der finanziellen Grundlage treibt den Hochschulnachwuchs um: Fast zwei Drittel der Studierenden (63 Prozent) berichten, dass sie aktuell Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche haben. Bei allem Optimismus, was die langfristige Perspektive des akademischen Nachwuchses angeht – so blicken 63 Prozent eher, wenn nicht sogar sehr positiv in die Zukunft -, ist der Unterstützungsbedarf in puncto Jobsuche, Karriereplanung und -orientierung sehr hoch. 79 Prozent der jungen Talente setzen hier auf Hilfe der jeweiligen Bildungseinrichtung, etwa durch ein Jobportal oder virtuelle Beratungsangebote, um passende Stellen- und Jobangebote zu erhalten.
Das Problem haben die Hochschulen und Universitäten fast ausnahmslos erkannt: 94 Prozent sind der Auffassung, dass die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Studierenden auf dem Arbeitsmarkt durch die Einschränkungen der Coronakrise stark oder teilweise beeinträchtigt wird. Entsprechend hoch stufen sie die Beratung über digitale Plattformen und in Echtzeit ein. So hat der erfolgreiche Praxistransfer für Studierende in Form von Praktika, Werkstudentenstellen oder Einstiegsjobs für die Bildungseinrichtungen derzeit höchste Priorität (49 Prozent).
Das deckt sich mit der Wahrnehmung der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. Hier haben sich die Beratungsanfragen an den Career Service durch Corona verdoppelt: „Die Studierenden sind unsicher und brauchen unsere Expertise. Wir raten ihnen, sich ganz normal zu bewerben, aber für den gesamten Bewerbungsprozess viel mehr Zeit einzuplanen“, so Nance Kaemmerer vom Alumni und Career Service der Universität.
Dennoch haben die befragten Hochschulen und Universitäten kein wirklich klares Bild von den wirtschaftlichen Auswirkungen und den Folgen für den Recruiting-Bedarf. So gaben insgesamt 87 Prozent an, eine unklare oder unvollständige Vorstellung von den wirtschaftlichen Folgen für den Arbeitsmarkt zu haben.
Die Lage bei den Unternehmen: zwischen Einstellungsstopp und „Business as usual“
Die 237 befragten HR- und Recruiting-Verantwortlichen aus acht verschiedenen EU-Ländern sind gespalten, was Einstellungsstopps und das Einfrieren von HR-Budgets angeht: knapp ein Drittel rekrutiert aktuell weiter junge Talente. Bei 42 Prozent der Unternehmen bleibt das Budget trotz der aktuellen Situation unverändert. Etwa jeder dritte Personalmanager (35 Prozent) hat mit einer Kürzung des Budgets zu kämpfen, bei 23 Prozent ist das Budget bis auf Weiteres sogar komplett eingefroren.
Auch Praktikanten- und Werkstudentenstellen sind betroffen: 44 Prozent der Unternehmen verschieben die Einstellung derzeit auf einen späteren Zeitpunkt. Etwa ein Viertel (24 Prozent) der Unternehmen rekrutiert Praktikanten weiter online.
Jeremy Lamri, Director of Research and Innovation bei JobTeaser und Initiator der Umfrage, warnt angesichts der Ergebnisse vor einem Bruch zwischen High Potentials und Unternehmen: „Während der Finanzkrise 2008 haben viele Unternehmen ihre Bemühungen und Employer-Branding-Maßnahmen für junge Talente eingestellt. Es hat viele Jahre gedauert, diese Bindung zu Studierenden und Hochschulabsolventen zurückzuerlangen.“
Die Situation in Deutschland: Kürzungen, digitales Recruiting und langfristiges Denken
Das gilt auch für Deutschland. Von den hier ansässigen Unternehmen hat knapp ein Viertel (23 Prozent) das Recruiting von jungen Talenten gestoppt, 37 Prozent gaben an, dies teilweise zu tun, immerhin 40 Prozent rekrutieren weiter. Auch bei der Beschäftigung von Praktikanten und Werkstudenten ist die Verteilung ähnlich wie im EU-Durchschnitt: 43 Prozent verschieben den Recruiting-Prozess von Praktikanten und Werkstudenten in eine spätere Phase des Geschäftsjahres. Nur 13 Prozent rekrutieren online normal weiter.
Ganz ähnlich verhält es sich bei den deutschen Unternehmen mit den HR-Budgets: Zwar hat die Hälfte der befragten Organisationen durch die Krise keinen Rückgang des HR-Budgets zu verzeichnen, dennoch wurden bei 37 Prozent Budget-Kürzungen vorgenommen, und bei 13 Prozent wurde das Budget bis auf Weiteres komplett gestrichen.
Das gilt vor allem für die besonders stark von der Krise betroffenen Branchen Hotel, Tourismus und Handel, in denen es derzeit Einstellungsstopps gibt. Anders sieht es in den Bereichen Vertrieb, Logistik, Transport, Agrar- und Ernährungswirtschaft und Digitaltechnik aus. Diese Branchen gaben an, dass weiter Einstellungen vorgenommen werden.
„Besondere Zeiten schaffen auch neue Chancen“
„Auch unter veränderten Rahmenbedingungen nehmen wir unseren Personalgewinnungsauftrag ernst“, sagt Franziska Manck, Leiterin Graduate & Executive Recruiting bei der Deutschen Bahn. „So führen wir aktuell Events wie Exkursionen und Fachvorträge in digitaler Form durch oder laden in ein virtuelles Klassenzimmer ein, so dass Schüler, Studierende und Hochschulabsolventen bis hin zur Fachkraft weiterhin die Möglichkeit haben, uns kennenzulernen und mit uns in den Austausch zu treten. Vorstellungsgespräche und Auswahlverfahren erfolgen aktuell bei uns genauso digital, wie das Onboarding neuer MitarbeiterInnen.“
Auch andernorts wurden schnell Alternativen geschaffen: „Vodafone stellt auch in der aktuellen Zeit weiterhin ein und hat seinen gesamten Recruiting-Prozess auf virtuelle Formate umgestellt. Das reicht vom ersten Interview bis zum Start und der Einführung am ersten Arbeitstag der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so Anna Seidel, HR Marketing Expertin bei Vodafone. „Wir versuchen darüber hinaus virtuelle Alternativen zu schaffen, die reale Karrieremessen zumindest erst einmal ersetzen können. Auch hierüber sollen Studierende die Gelegenheit erhalten, weiterhin mit Vodafone in Kontakt zu treten. Besondere Zeiten schaffen auch neue Chancen.“
Zentrale Herausforderungen für HR-Verantwortliche: 100 Prozent Remote-Arbeit und mangelnde Sichtbarkeit
Auf die Frage, welches die größte Herausforderung in der aktuellen Coronakrise für Personaler sei, wurde vor allem die interne Reorganisation (43 Prozent) etwa in Form von Remote-Arbeit gesehen. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen die Sichtbarkeit auf dem Arbeitgebermarkt (24 Prozent) und das Remote-Recruiting (11 Prozent).
Trotz der neuen Herausforderungen sind 41 Prozent der HR-Abteilungen in Bezug auf ihre Aktivitäten zuversichtlich gestimmt, verspüren Optimismus und stellen sich schnell auf neue Prozesse ein. Lediglich 13 Prozent der Personaler sind derzeit nicht zuversichtlich.
Den gesamten Report sowie Infografiken zur Umfrage finden Sie hier.
Studiensteckbrief „Rekrutierung: Bewältigen junge Talente die Krise?“:
Umfragezeitraum: 1. bis 17. April
Methode: Online-Umfrage
Befragungsteilnehmer: 7041 Studierende (aus 10 Ländern), 175 Hochschulen und Universitäten (aus 14 Ländern) sowie 237 Unternehmen (aus acht Ländern)
Keywords:Recruiting,Covid-19:,Coronakrise
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