Das folgende Interview wurde von Bernd Gey, Chefredakteur von „Personalintern“, geführt:
1) Wie haben Sie die aktuelle Corona-Krise, in den letzten Monaten des Jahres 2020, unternehmerisch und persönlich empfunden?
Andrea Hollenburger:
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als nach dem Lockdown etliche Kunden Ihre Verträge vorzeitig gekündigt haben, Einsatztage von Interim Managern wurden reduziert bis hin zu Vertragsannullierungen. Somit kam es an einem einzigen Tag zu einem Umsatzverlust von ca. einem Drittel des Jahresumsatzes. Selbstverständlich entstehen in dieser Situation Existenzängste, auch der Situation geschuldet, dass sich die Auftragslage während der Corona-Krise und bis heute noch nicht annähernd erholt hat.
André Papmehl:
Da ich privat in Italien lebe, habe ich die Quarantäne hier in der Lombardei sehr hautnah erlebt. Dies kam ab dem März einer verordneten, wirtschaftlichen Zwangspause gleich. Aber Krisen beinhalten stets auch Chancen: So habe ich die Solidarität zwischen den Menschen in Italien als sehr positiv empfunden und ebenfalls die Zeit zur persönlichen Reflexion nutzen können. Denn Krise ist ein produktiver Zustand, wie Max Frisch es richtig sagte: Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
2) Haben Sie die staatliche Unterstützung in Deutschland (bspw. die „Corona-Soforthilfe“) als zielführend und angemessen erlebt?
Andrea Hollenburger:
Natürlich dachte man im ersten Moment, als über die staatlichen Unterstützungen berichtet wurde, sehr gut: Da wird etwas für die Soloselbständigen, Selbständigen und kleinen Unternehmen getan. Bei näherer Betrachtung jedoch, empfand ich die staatlichen Unterstützungen als wenig zielführend und nicht durchdacht. Da es weiterhin keinen Ausgleich für entfallenden Umsatz bzw. Unternehmerlohn/ Personalkosten gibt, müsste die Zielgruppe Hartz IV beantragen um Hilfe für die private Miete, Krankenversicherung und Kosten für den Lebensunterhalt zu erhalten. Die Stufe II der Staatshilfe empfinde ich ebenfalls als nicht angemessen.
André Papmehl:
Ich finde der deutsche Staat hat insgesamt gut reagiert bspw. was die Soforthilfe oder das Kurzarbeitergeld betrifft. Aber natürlich gab es auch Pannen, wie lange Wartezeiten bei der Auszahlung der Soforthilfe. Auch die Förderung im zweiten Halbjahr finde ich nicht zu Ende gedacht. Insgesamt muss sich Deutschland aber im Vergleich zu anderen Ländern nicht verstecken. Ärgerlich ist dennoch der Umstand, dass Unternehmen wie die Lufthansa mit Milliarden vom Staat subventioniert werden, während selbständige Künstler oder Solo-Unternehmer heute oft vor dem Ruin stehen oder bereits pleite sind.
3) Zu welchen fachlichen und persönlichen Lernerfahrungen konnten Sie in den letzten Monaten selbst gelangen?
Andrea Hollenburger:
Da ich selbst – meine Geschäftspartner würden jetzt sagen ein „digital nerd“ – bereits seit Jahren digital und virtuell unterwegs bin, gab es in meinem beruflichen Alltag keine großen Veränderungen. Beeindruckt war ich in dieser Zeit von der Selbstdisziplin meiner Tochter, sich den Unterrichtsstoff für die anstehenden Abschlussprüfungen selbst beizubringen, da die versprochenen „Zoom-Unterrichtssessions“ der Schule nicht stattfanden. Auch von ihrer Durchsetzungskraft die Lehrer davon zu überzeugen, die Aufgabenstellungen per whats app an die Schüler der Klassen zu senden. Denn der „Schulmanager Online“ hat während dieser Zeit gänzlich den Dienst versagt. Privat habe ich in dieser Zeit sehr geschätzt, insbesondere, dass die Familie viel Zeit gemeinsam verbringen konnte.
André Papmehl:
Wie bereits gesagt, die Zeit für Reflexion habe ich persönlich als wertvoll empfunden. Auch die Muße einmal in Ruhe zu lesen – sei es Fachliteratur oder einfach einen schönen Roman. Natürlich war auch die Chance wertvoll, viel Zeit mit der Familie zu verbringen, wozu ich in Interim-Mandaten sonst wenig Gelegenheit habe. In schwierigen Zeiten lernt man übrigens auch recht eindrucksvoll, wer die wirklichen Freunde bzw. Partner sind.
4) Wie schätzen Sie die Auswirkungen der aktuellen Krise im Hinblick auf die Thematik „Digitalisierung“ ein?
Andrea Hollenburger:
Im Hinblick auf die Digitalisierung gab es natürlich eine Beschleunigung während der aktuellen Krise. Unternehmen, die bis dato z. B. noch kein Homeoffice implementiert hatten oder noch sehr analog unterwegs waren, wurden dazu „gezwungen“ schnellst möglich zu agieren. Zudem brachte die Krise mit sich, dass viele Unternehmen in medias res gingen und sich eingestehen mussten, dass die Digitalisierung in ihrem Unternehmen mehr vorangetrieben werden sollte.
André Papmehl:
Homeoffice ist heute nicht mehr die Ausnahme, sondern eher die Regel. Unnötige Dienstreisen (oft reine Zeitverschwendung und schädlich für die Umwelt) werden zunehmend durch Video-Konferenzen ersetzt etc. Ohne die Corona-Krise hätte dies sicherlich länger gedauert. Wir sollten aber nicht vergessen, das menschliche Nähe wichtig ist und bleibt, z.B. in relevanten Themen wie Coaching, Teambuilding oder Personalentwicklung.
5) Welche Konsequenzen sehen Sie – für die Arbeitszukunft bzw. die Chancen von Nachwuchskräften – in deutschen Unternehmen?
Andrea Hollenburger:
Als eine Konsequenz der aktuellen Situation sieht man sehr klar, dass es viel zu wenige Studienplätze in Deutschland gibt. Bedingt dadurch, dass die Auslandsstudienplätze wegfallen und diejenigen, die eigentlich eine Ausbildung absolvieren wollten, aufgrund der gestrichenen Ausbildungsplätze, nun doch studieren möchten. Diese Situation wird zu deutlichen Verzögerungen führen, da viele als Überbrückung zuerst einmal ein Alternativstudium in einem anderen Fachsegment starten, um dann später doch noch zu ihrem „Traum“-Studiumplatz zu wechseln. Unternehmen sollten deshalb mehr denn je in Traineeprogamme und generell in die Aus- und Weiterbildung investieren.
André Papmehl.
Für unsere Schulen, Ausbildung und Hochschulen war COVID-19 eine Steilvorlage hin zu digitalen Lern-Welten. Sonst hätte dieser Prozess vielleicht noch Jahre oder Jahrzehnte gedauert. Heute sind aber viele Unternehmen zu drastischen Kostenreduzierungen gezwungen. Erfahrungsgemäß sind Themen wie Aus- und Weiterbildung bzw. Nachwuchsentwicklung „beliebt“, dem Rotstift zum Opfer zu fallen. Kluge Unternehmenslenker werden gerade jetzt in Menschen investieren. Denn nie war der Zeitpunkt günstiger, kluge Köpfe zu gewinnen: Zumal die USA ihre exzellente Talent-Pipeline aus dem Ausland verschlossen haben.
6) Wird es einen signifikanten Wandel „Stichwort: Neue Arbeitswelten“ in den Unternehmen geben; bspw. in der Kommunikation und Zusammenarbeit der Belegschaft sowie des Managements und dem Sozialpartner?
Andrea Hollenburger:
Für die Unternehmen, die bis zur Krise noch nicht mit virtuellen Teams gearbeitet haben, ist es natürlich ein signifikanter Wandel in der Kommunikation und Zusammenarbeit, aber eben auch eine Chance. Hier sollte durchaus investiert werden z. B. in Weiterbildung „Führen von virtuellen Teams“, „Performancemessung“ und klare, transparente Kommunikation. Ich bin aber dagegen, dass ein rechtlicher Anspruch auf Homeoffice für die Mitarbeiter zum Tragen kommt. Die Entscheidung sollte nach wie vor bei den Unternehmen liegen.
André Papmehl:
Eine virtuelle Konferenz zu leiten oder Mitarbeiter virtuell zu führen, sind Herausforderung bzw. Lernchance für viele Führungskräfte. Aber auch nicht so wirklich neu: Wenn wir an virtuelle Konferenzen (Stichwort „Town Hall“), Telefonkonferenzen oder „Online-Tutorials“ in internationalen Konzernen denken. In einer intelligenten Kombination zwischen virtuellen und persönlichen Treffen könnte der Schlüssel zum Erfolg liegen. Hier gibt es kein Patentrezept, vielmehr muss jedes Unternehmen seine Lösung selbst erarbeiten. Gewerkschaften und Betriebsräte sind sich der anstehenden Veränderungen durchaus bewusst. So darf Heimarbeit nicht als Vehikel zu einem schleichenden Arbeitsplatzabbau bzw. zu schlechteren Konditionen für die Arbeitnehmer missbraucht werden.
7) Was sind die aktuellen „inhaltlichen Brennpunkte“ für deutsche Unternehmen aus Ihrer Perspektive als Personalberater und Personal-Provider (Interim-Vermittler)?
Andrea Hollenburger:
Die Kernpunkte werden nach wie vor Kurzarbeit, Restrukturierungen und Personalabbau sein; einhergehend mit Prozessoptimierungen und einem Vorantreiben der Digitalisierung. Erfolgreiche Unternehmen haben eher die Problematik des zügigen Personalaufbaues: Employer Branding, Talent Acquisition und Mitarbeiterbindung stehen hier im Vordergrund. Bei diesen Themen können Interim Manager und Berater die Unternehmen sehr gut unterstützen.
André Papmehl:
Wir werden noch eine ganze Reihe von Insolvenzen erleben, insbesondere wenn die aktuelle Insolvenzregelung im Dezember 2020 ausläuft. Viele Unternehmen werden im Jahr 2021 weiter um das „nackte Überleben“ kämpfen müssen. Folglich stehen in den nächsten Monaten Themen wie Kostensenkungen, Personalanpassungen und Prozessoptimierungen im Vordergrund. Wie gesagt, sollten innovative Unternehmen diese Zeit zur Gewinnung und Entwicklung von Talenten nutzen. Gleichermaßen sollte in die Weiterbildung der eigenen Belegschaft investiert werden, was übrigens auch bei Kurzarbeit gut funktionieren kann. Hierbei können Interim Manager, Berater aber auch die Agentur für Arbeit unterstützen.
8) Sind konkrete Auswirkungen im Hinblick auf Themen wie Führung, Personalentwicklung oder Unternehmensstrategie für Sie erkennbar?
Andrea Hollenburger:
Man kann den Unternehmen nur raten diese Themen nicht zu vernachlässigen. Gerade in Krisenzeiten sollte man z. B. Unternehmensstrategien hinterfragen und ggfs. neu justieren. Konkrete Auswirkungen sind derzeit noch nicht erkennbar. Ich nehme an, dass viele der Unternehmen noch mit den Auswirkungen der Krise, wie z. B. fehlenden Ressourcen, gestoppten Projekten, Kostenreduktion intensiv beschäftigt sind.
André Papmehl:
Grundsätzlich befürchte ich: Nein! Zu Themen wie Führung, Personalentwicklung und Unternehmensstrategie ist bereits „alles Kluge“ seit Jahrzehnten gesagt bzw. geschrieben worden. Es mangelt wahrlich nicht an geeigneten Ideen, sondern vielmehr an deren konsequenter Umsetzung. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und fällt immer wieder gern in seine alten Muster zurück. Sollte die Corona-Krise allerdings mit immer neuen Wellen über mehrere Jahre anhalten, wird dies Unternehmen natürlich zu flexibleren Antworten unter anderem in ihrer Aufbau- und Ablauforganisation zwingen.
9) Gibt es „Lessons Learned“ über welche deutsche Unternehmen zeitnah, intensiver nachdenken sollten?
Andrea Hollenburger:
Da während der Krise viele „quick & dirty“ Aktivitäten der Unternehmen stattfanden, macht es durchaus Sinn diese Revue passieren zu lassen und zu optimieren. Generell ist den Unternehmen zu empfehlen, nicht nur im Hinblick auf Covid 19, verschiedene derzeit noch fiktive Situationen zu durchleuchten, um hier bereits im Vorfeld einen Szenario-Plan zu erarbeiten, der im Ernstfall dann schnell umgesetzt werden kann. Zukünftig sind Krisenmanagementteams fortlaufend zu schulen, Szenario-Pläne müssen aktuell gehalten werden – auch damit zukünftige Krisen souverän gemeistert werden können.
André Papmehl:
Vermutlich wird CORONA leider nicht über Nacht verschwinden; selbst wenn zeitnah ein Impfstoff gefunden werden sollte. Insofern gilt es für Unternehmen die gegebenen und potenzielle neue Risiken wachsam zu analysieren sowie flexible Lösungen zu definieren. Es kann z.B. hilfreich sein, mit dem Managementteam in Workshops verschiedene Szenarien und geeignete Reaktionen zu erarbeiten. Dann hätten das Unternehmen bereits einen Fundus an Lösungen „sozusagen“ in der Schublade, welche laufend angepasst werden könnten.
10) Welchen praktischen Rat, würden Sie der Unternehmensleitung (bspw. eines mittelständischen Unternehmens / KMU) heute geben wollen?
Andrea Hollenburger:
Ich erlebe immer wieder in mittelständischen Unternehmen / KMU, dass der Bereich HR sehr stiefmütterlich behandelt wird: „Ja, die machen da die Lohnabrechnung und etwas Administration.“ Aus meiner Sicht ist die Personalabteilung das Herzstück eines Unternehmens, welche die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens stark beeinflussen kann. Es macht also durchaus Sinn, auch in mittelständischen Unternehmen, über die Neuausrichtung ihrer HR-Abteilung nachzudenken. Und nicht nur nachzudenken – hierbei können Interim Manager und Berater unterstützen, dass eine zeitnahe Implementierung eines innovativen HR-Management umgesetzt wird.
André Papmehl:
Bekanntlich sind Ratschläge ja auch Schläge. Nach meiner Erfahrung sind die Inhaber bzw. Leiter von mittelständischen Unternehmen in Deutschland gut unterwegs. Was die großen Konzerne aufgrund einer breiteren HR-Infrastruktur oft besser machen, ist, nachhaltiger und gezielter in ihr Personalmanagement zu investieren. Hier sehe ich noch deutliche Entwicklungschancen für mittelständische Unternehmen. In KMU können nach meiner Erfahrung solche Lösungen deutlich schneller implementiert werden, als es in Großunternehmen der Fall ist.
Andrea Hollenburger in der Landeshauptstadt München geboren, schon früh ist sie in die Arbeitswelt eingestiegen und kann daher auf eine facettenreiche nationale und internationale Karriere zurückblicken. Über 30 Jahre Berufserfahrung unter anderem als Interim Manager und in verschiedenen geschäftsführenden und leitenden Positionen, u. a. leitete sie langjährig das HR-Ressort der Scout24 Gruppe als Senior Vice President HR & Communication und war in leitender Position HR bei einem FinTech Unternehmen in Zürich. Sie ist zudem Gründerin ihrer eigenen Beratungsfirma und Partner bei der HR-Consultants GmbH. www.hr-consultants.de
André Papmehl hat sich nach über 20 Jahre Erfahrung im internationalen Personalmanagement und als langjähriger Personalchef für die Selbständigkeit entschieden. Heute unterstützt er als Interim Manger und Berater seine Kunden in den Bereichen Personalmanagement und Organisationsentwicklung sowie in Restrukturierungsthemen. Er absolvierten ein Studium der Europäischen Betriebswirtschaft an der ESB Business School in London und Reutlingen und war vor seiner Selbständigkeit für angesehene Unternehmen wie Daimler, Bosch und Amazon tätig; zahlreiche Publikationen zu innovativen Management-Themen. www.papmehl.com
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