Brexit: Deal oder No-Deal – was erwartet den Mittelstand?

(Mynewsdesk) Brexit und kein Ende. Nachdem sich Brüssel und London auf eine Fristverlängerung bis Ende Oktober geeinigt haben, gehen die Verhandlungen weiter. Doch das No-Deal Szenario ist noch nicht vom Tisch. Der Mittelstand leidet unter der Ungewissheit – und zeigt sich erstaunlich resilient.

Wenn Wirtschaft zu 50% Psychologie ist, müssten die Nerven des Mittelstands eigentlich blank liegen. Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind 2019 auch ohne Brexit schwierig: Strafzölle zwischen den Handelsmächten, ein langsameres Wachstum in China, die Schuldenlast Italiens – um nur die wichtigsten Risiken zu nennen. Und nun vielleicht auch noch ein No-Deal Brexit. Wird er Großbritannien in eine Rezession stürzen? Was erwartet den Mittelstand? Und wie gehen die Unternehmen mit der Ungewissheit um?

Die Gebrauchtmaschinen-Branche steht selten im Fokus der Aufmerksamkeit. Vielleicht weil sie durch und durch mittelständisch geprägt ist. Selbst große Player auf dem Markt, wie der Industrieverwerter Surplex, haben ca. 200 Mitarbeiter bei einem Jahresumsatz von knapp 100 Mio. Euro. Aber alle Unternehmen der Branche, auch die kleineren Händler und Industrieauktionshäuser, exportieren erfolgreich in die EU und weltweit. Surplex beispielsweise verfügt über Niederlassungen in neun europäischen Ländern, darunter auch Großbritannien. Die deutsche Muttergesellschaft mit Sitz in Düsseldorf verkauft mehrheitlich Industriegüter in die EU. Umgekehrt exportiert die Tochtergesellschaft Surplex UK ebenfalls einen Großteil ihrer Maschinen in die EU – Tendenz steigend. Ein funktionierender Binnenmarkt ist das Rückgrat des europäischen Maschinenhandels. Doch dieser könnte schon bald am Ärmelkanal enden. Brechen dann die Logistik-Ketten zusammen? Stauen sich die LKWs kilometerlang? Werden Flug- und Schiffsverkehr beeinträchtigt? Die Branche versucht, sich auf den Brexit einzustellen.

Die Gretchenfrage lautet: Deal oder No-Deal?

Daniel Jankowiak, Leiter Zoll- & Exportkontrolle bei Surplex, ist skeptisch: „Sollte der künftige Handel nach WTO-Standards abgewickelt werden, dürften Maschinenexporte ins Vereinigte Königreich nicht mehr wenige Tage, sondern Monate dauern“. Neben erheblichen Verzögerungen beim Warentransport erwartet er neue rechtliche Hürden mit zusätzlichen Genehmigungspflichten. Das, so Jankowiak, sei nicht ohne Ironie, hätten doch die Brexit-Befürworter stets über die Brüsseler Bürokratie geklagt. Doch ein No-Deal Brexit würde den Wert einheitlicher Regeln, Standards und Gesetze schlagartig deutlich machen, beispielsweise beim Export von Dual-Use Gütern wie hochpräzisen Werkzeugmaschinen.

Jenseits des Ärmelkanals schätzt man die Lage positiver ein als erwartet. John Heath, Acquisition Manager von Surplex UK (London), kennt die Sorgen des britischen Mittelstandes. Sein Job besteht darin, Unternehmen, die eine Restrukturierung oder Insolvenz vor sich haben, beim Verkauf ihres überschüssigen Inventars zu unterstützen. Heath ist von der Resilienz der britischen KMU überrascht: Zwar habe die Anzahl der Insolvenzen in den letzten Monaten um 0,5% zugenommen, doch das sei keine Folge des Brexits. Betroffen seien vor allem Firmen aus den Bereichen Bau und Einzelhandel, die eher mit der Digitalisierung zu kämpfen hätten. Bei Fertigungsbetrieben, beispielsweise aus der Metall- und Holzbearbeitung, sei kein signifikanter Anstieg der Insolvenzen zu verzeichnen.

Auch andere Experten zeichnen ein gemischtes Bild. Investitionen und Exporte, so die allgemeine Auffassung, dürften aufgrund des Brexits zurückgehen. Andererseits scheint sich der Arbeitsmarkt positiv zu entwickeln. Laut Umfragen wollen 75% der britischen KMU im laufenden Jahr neue Mitarbeiter einstellen. Mike Cherry vom Federation of Small Businesses wird nicht müde zu betonen, dass das Wie des Brexits für die Entwicklung entscheidend sei. Dagegen hält es Dr. Ross Brown vom Center for Responsible Banking and Finance sogar für möglich, dass einzelne Unternehmen von einem No-Deal Szenario profitieren könnten.

Klarer Verlierer: Die britische Automobilindustrie

Wer jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht profitieren dürfte, ist die britische Automobilindustrie. Die Branche steht auch ohne Brexit unter Druck. Der Handelsstreit mit den USA, ökologische Fragen und Strukturprobleme haben laut einer Studie der Universität Oxford dazu geführt, dass die Investitionen in den vergangenen Jahren um 80% gesunken sind. Bei einem No-Deal Ausstieg aus dem Binnenmarkt droht der freie Fall. Die PKW Produktion könnte bis 2025 um 50% einbrechen. Mit dramatischen Folgen für die Arbeitsplätze und die betroffenen Regionen, vor allem Nordost-England, Schottland und Wales. Die Frage: Deal oder No-Deal könnte zur Schicksalsfrage der britischen Automobilindustrie werden.

Als Fazit bleibt, dass ein weicher Brexit, bei dem London und Brüssel die künftigen Handelsregeln aufeinander abstimmen, für den Mittelstand gut zu verkraften wäre. Die Unternehmen haben sich auf den EU-Austritt eingestellt und agieren erfolgreich in einem schwierigen Umfeld. Dagegen hätte ein harter Brexit, der zu Handelsbeziehungen nach WTO-Standards führen würde, gravierende Auswirkungen, nicht nur für den Mittelstand, sondern für die gesamte britische Wirtschaft. So warnt die Confederation of British Industry (CBI), dass das britische Bruttoinlandsprodukt in diesem Fall um 8% schrumpfen könnte.

Für einen Mittelständler wie Surplex würde die No-Deal Variante zu höheren Kosten, Verzögerungen beim Maschinentransport sowie längeren und komplizierten Genehmigungsverfahren führen. Also Sand im Getriebe in einer ohnehin labilen Situation. Selbst wenn man positive Wirkungen eines No-Deal Brexits einkalkuliert, beispielsweise günstige Wechselkurse oder ein größeres Gebrauchtmaschinen-Angebot, überwiegen die negativen Effekte deutlich. Höhere Kosten und mehr Bürokratie sind für Wachstum und Wohlstand immer schädlich. Deshalb sollte das No-Deal Szenario vermieden werden. Eine politische Mehrheit für diesen Worst Case ist glücklicherweise nicht in Sicht. Dafür wächst derzeit in ganz Europa der Wunsch, zur wirtschaftlichen Vernunft zurückzukehren. 

Presseinformation:

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